Die wohnung

Als wir den halben Flur im Erdgeschoss abgeschritten hatten, wo es nach verfaultem Gemüse stank, blieb der Hausmeister stehen, nahm einen der Schlüssel, mit denen er bis dahin geklimpert hatte, und schloss ohne große Kraftanstrengung die nächstgelegene Tür auf. Er ließ den Schlüssel im Schloss stecken und öffnete die Tür. Nachgiebig und lautlos, als sei sie aus Watte, schwang sie auf. Es gab ein Bett mit verrosteten Sprungfedern und auf dem Boden einen Packen zerfledderter Sportzeitungen, ansonsten war der Raum nackt, gesättigt nur mit abgestandener, feuchter Luft. Die knotigen Hände des Hausmeisters machten sich an dem Flügel des einzigen Fensters zu schaffen, bis er mit einem dumpfen Geräusch aufging. Es klang in etwa, als zöge man einen Strauch Heidekraut aus weichem Torf. Auch die kalten Luftschwaden, die hereinströmten, waren feucht, so dass sie den dicken, wabernden Mief im Raum allenfalls ein klein wenig aufzuwühlen vermochten.

Das Fenster starrte verkniffen nach Osten. Da es weit oben, fast an der Decke angebracht war, befand es sich fast auf gleicher Höhe mit dem Boden draußen, und durch die schmutzige, mit Fliegendreck bedeckte Scheibe musste sich das Licht mühsam hereinquälen, zusätzlich behindert durch einen riesigen Haufen von Alteisen, mammutartigen Lastwagengerippen, verkeilt in die gebrochenen Wirbelsäulen von Kränen und Baggern, dazwischen ein paar Häckselmaschinen mit geblähten, ängstlichen Hälsen, die in die Gegend starrten wie aufgescheuchte Giraffen.

Auf den einheitlich feuchten Wände lag eine kränkliche Schicht schmierigen Schimmels: das Spurenbild erinnerte mancherorts an die Ideographie alpiner Massive auf physikalischen Karten, anderswo hingegen an die graubraune, stellenweise von der Sonne marsianischer Strände verbrannte Haut eines interplanetarischen Wesens.

Ich vermochte eine gewisse emotionale Bewegung nicht zu unterdrücken und tippte mit den Fingerspitzen an die schleimige Wand. Ich nahm wahr, dass die Haut wie das Gewebe menschlicher Epidermis mit einer Art Kontraktion auf die Berührung reagierte. Etwas Klebriges, Lebendiges, Quallenartiges jagte mir einen Schauer über den Leib und veranlasste mich, meinen Finger zurückzuziehen. Dann fiel mein Blick noch auf ein paar dicke Büschel weißfädigen Schimmels, die mich ich an die Achsel- und Brusthaare der erwähnten interplanetarischen Wesen denken ließen.

„Das also ist deine Wohnung“, sagte der Hausmeister und streckte mir seine Pranke hin, um sich mir endlich doch noch vorzustellen. Es war, als habe er mich in sein eigenes trautes Heim aufgenommen. „Du kannst dich mit jeder Sorge an mich wenden“, sprach er. „Ich bin der Hausmeister Vektor. Aber vergiss nicht, das Zimmer zu kehren und zu putzen, sonst gibt es Ärger.“

Daraufhin wischte sich Hausmeister Vektor die verschwitzte Halbglatze mit einem Taschentuch ab. Mir dünkte, dass es nicht vor allem Schweiß war, was er entfernte. Mir jedenfalls klebte kalter Schweiß im Nacken, und ein Brennen trabte über mein Zwerchfell, bevor es heiß die Luftröhre hinaufstieg. Es begann von meinen Schläfen zu tropfen. Ich rieb sie mit dem Ärmel ab. Beim Verlassen des Raumes drehte sich Hausmeister Vektor noch einmal um, schwenkte den Arm in einer alles umfassenden Geste, als gelte es, eine endlose Flucht prächtiger Säle zu präsentieren, und sagte mit einem Seufzer:

„Das Glück hat dich begünstigt! Ich hatte im Sinn, hier meinen Neffen unterzubringen, aber, nun ja, er wurde zu den Soldaten gerufen … Der Schlüssel steckt in der Tür.“ Dann trat er über die Schwelle.

Ich tappte ihm nach auf den Korridor, eigentlich nur wegen seines Namens, ich wollte mich erkundigen, weshalb man ihn Vektor und nicht Viktor nannte, aber meine Neugier verblasste rasch. Stattdessen fragte ich:

„Und ein Klo, gibt es das hier auf dem Flur?“

„Geradeaus“, sagte er mit einer halben Drehung rückwärts. „Du brauchst nur dem Geruch zu folgen, der führt dich hin.“

Die Worte von Hausmeister Vektor trafen zu, davon konnte ich mich rasch überzeugen: so scharf, so durchdringend war der Gestank, als ich durch die einsame Tür am Ende des Ganges trat, dass mir die Augen zu tränen begannen, Kehlkopf, Gaumen und Nasenhöhlen vom Ammoniak brannten, das von den festen Ausscheidungen freigesetzt wurde, die wie Statuetten tartarisch-mongolischer Krieger in der Wüste Gobi rötlich, terrakottafarben, mulattenbraun, schwarz und grün außerhalb der Kabinen alles bedeckten, während an den Wänden, auf dem Fußboden, auf jeden Fall aber immer außerhalb des für die Verrichtung eigentlich vorgesehenen Ortes, das getrocknet abgelagerte Salz kriterienlosen Pissens, durch das sich Hunderte und Aberhunderte anonymer Nieren Erleichterung verschafft hatten, in großzügigem Ausmaß blassgelb schimmerte.

Mein Harn floß erst zögernd, dann in immer sichererem Strahl und hinterließ eigene Spuren in dieser Arena volkstümlichen Kunstschaffens.

 

AUS DEM ALBANISCHEN VON JOACHIM RÖHM